Die Drei-Schluchten-Talsperre - ein Wunderwerk der Technik

"Der Mensch besieht sein Spiegelbild nicht in fließendem Wasser sondern im stillen Wasser..." Dieses Zitat wird dem chinesischen Philosoph Zhuangzi zugeschrieben. Er wurde im Reich der Mitte als Heiliger verehrt und seine Schriften gelten bis heute als die schönsten der chinesischen Geistesgeschichte. Zhuangzi wird zu seinen Lebzeiten keine Gedanken daran verschwendet haben, dass es eines Tages gelingen könne, das wilde Wasser des Jangtse mit dem Drei-Schluchten-Staudamm in der Provinz Hubei zu zähmen.

das größte Wasserkraftwerk der Welt

Mit dieser Talsperre entstand das größte Wasserkraftwerk der Welt. Allerdings kostete der Bau rund 1,3 Millionen Menschen an den Ufern des großen Flusses die Heimat.
6.380 Kilometer legt der Jangtsekiang von seinem Quellgebiet im tibetanischen Hochland bis zu seiner Mündung nördlich von Shanghai im Ostchinesischen Meer zurück. Mal zeigt er sich auf seinem Weg von seiner lieblichen Seite, mal ist er unberechenbar und seit jeher eine Gefahr für die Menschen, die zu beiden Seiten des Flusses leben.

Und immer war der Jangtse, wie ihn die Chinesen in der Kurzfassung nennen, ein Wasserspender für die Landwirtschaft, die Einnahmequelle für unzählige Fischer und auch eine der wichtigsten Verkehrsadern des Landes. Hier bewegte sich der größte Teil der chinesischen Binnenschifffahrt. Auch deshalb, weil es bis in die Neuzeit an akzeptablen Straßenverbindungen mangelte.

Eine alte chinesische Weisheit besagt, dass nur dem das Land gehöre, der das Wasser beherrsche.

Und getreu dieser Erkenntnis starteten die politischen Machthaber in China im Dezember 1994 ihr Jahrtausend-Projekt mit der Drei-Schluchten-Talsperre.
Qutang, Wu und Xiling heißen die drei Schluchten mit ihren bis zu tausend Meter hohen Felswänden. Durch sie wurden die enormen Wassermassen des größten chinesischen Flusses gepresst, als es den Staudamm noch nicht gab.

Das Tal war an einigen Stellen kaum breiter als achtzig Meter. Dort, wo sich der Jangtse wie eine wilde Bestie gebärdete, war dieses Tal über Jahrzehnte ein Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt.

Doch die Visionäre in der Metropole Peking erinnerten sich schließlich daran, dass schon der erste Staatspräsident Chinas, Sun Yatsen, kurz nach dem Ersten Weltkrieg Ideen zum Bau eines Staudamms entwickelte. Die Amerikaner hatten damals großes Interesse, diese Talsperre zu verwirklichen. Doch der Bürgerkrieg im Reich der Mitte beendete alle Pläne. Viele Jahre später ließ auch Mao tse-Tung, der Mitbegründer der Kommunistischen Partei Chinas, die Gedanken von einst aufleben. Aber der beabsichtigte "Große Sprung nach vorn" mündete für das Land in einer Wirtschaftskrise.

Letztlich war es dem Wirtschaftsreformer Dang Xiaoping vorbehalten, den Bau der Talsperre voran zu treiben und die alten Pläne zu konkretisieren. Zwar stockten die Vorbereitungen, als die Studentenunruhen des Jahres 1989 im Massaker auf dem Pekinger Tiananmen-Platzes mündeten, doch drei Jahre später gab der Volkskongress dann doch grünes Licht für den Baubeginn. Auch deshalb, weil China unter einer immer schneller galoppierenden Energieknappheit litt und die Stromversorgung des Landes sichergestellt werden musste. An der Wu-Schlucht entstand eine Großbaustelle, wie sie die Welt bis dahin noch nicht gesehen hatte. Bereits die erste Bauphase stellte die Planer vor riesige Probleme, denn der Jangtse musste durch einen 3.500 Meter langen Kanal umgeleitet werden. In dem gigantischen Damm entstanden Durchlässe, und als diese ab 2003 geschlossen wurden, staute sich der große Fluss mehr und mehr und für alle sichtbar.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt setzte oberhalb der Drei-Schluchten-Talsperre eine Art Völkerwanderung ein, denn der Wasserspiegel hob sich von Tag zu Tag und überflutete die bis dahin fruchtbaren Ebenen zu beiden Seiten des Jangtse. Inoffiziellen Schätzungen zufolge mussten rund 1,3 Millionen Menschen ihre Häuser verlassen. 1.350 Dörfer, 13 Städte und 657 Fabriken versanken in den Fluten. Den betroffenen Menschen wurden bei der Umsiedlung jeweils dreitausend Euro Entschädigung versprochen, doch nicht immer und überall kamen die Gelder tatsächlich an. Die Quote der Arbeitslosigkeit stieg rasant. Auch deshalb, weil die geringen Bestände an Fischen im neuen Stausee die Existenzen vieler Fischer zerstörten. Mit der Flutung gingen auch die Lebensräume für Tiere und Pflanzen verloren und mit ihnen auch kulturelle Stätten von unschätzbarem Wert.
Bis zu einer Höhe von 175 Metern türmte sich der Damm aus Stahl und Beton, und mit dem Sperrwerk entstand ein mehr als sechshundert Kilometer langer See. Die fruchtbaren Felder der Provinz Hubei, das historische "Land aus Fisch und Reis", war den Wassermassen schutzlos ausgeliefert, denn der Oberflächenspiegel des Jangtse bewegte sich nunmehr um die 110 Meter höher als im ursprünglichen Zustand. Eigentlich sollte das gigantische Bauwerk um die zwölf Milliarden Euro kosten, doch als die Summen explodierten, verweigerte sogar die Weltbank weitere Finanzierungen. Letztlich dürfte der Bau der Drei-Schluchten-Talsperre fast sechszig Milliarden Euro verschlungen haben. Zu den Geldgebern zählte letztlich auch Deutschland, das eine Hermes-Bürgschaft über einen Betrag von 650 Millionen Euro zur Finanzierung beisteuerte.
Es mangelte nach der Fertigstellung des riesigen Objekts aber nicht an kritischen Stimmen, die unter anderem darauf verwiesen, dass eine der eindrucksvollsten natürlichen Ressourcen der Volksrepublik China den Wassermassen zum Opfer fielen. Nicht weniger als 1.300 Ausgrabungsstätten versanken in den Fluten. Außerdem Tempelanlagen von unschätzbarem historischen Wert. Und dann, so wurde in jüngerer Zeit festgestellt, ist der so entstandene Stausee ein gefährlicher Rückzugsort für die gefährlichen Mücken der Malaria. Zu den Profiteuren des Staudamms gehören allerdings die großen Schifffahrts-Gesellschaften, die sich durch den steigenden Tourismus neue Einnahmequellen erhoffen. Da die einstigen engen Schluchten nicht befahrbar waren, können nun sogar größere Frachtschiffe auf dem See verkehren. Auch die Buchungen für Kreuzfahrten erreichten eine bis dahin ungeahnte Dimension. Also hat die Drei-Schluchten-Talsperre Diskussionen über Für und Wider ausgelöst.
Nahezu eine halbe Milliarde Menschen wohnen und arbeiten an den Ufern des Jangtse. Sie alle hatten mit der erhöhten Stromerzeugung darauf gehofft, dass sich auch die Wasserqualität verbessern würde. Dazu kam es bisher aber nicht, da das Ökosystem des Flusses nachhaltig gestört ist. Immerhin schützt der Damm und der gebändigte Fluss die Menschen vor den früher so gefürchteten Hochwasser-Fluten. Und das Wasserkraftwerk liefert eine derart große Spanne an Strom, wie sie vormals aus mehr als fünfzig Millionen Tonnen Kohle gewonnen wurde. Die 32 Turbinen produzieren eine Kapazität von um die 22 Millionen Kilowatt. Damit löste das chinesische Wunderwerk den Itaipu-Staudamm im Grenzbereich zwischen Brasilien und Paraguay als größter Stromproduzent der Welt ab.
Aber noch etwas bereitet den Geologen in der Region Sorgen. Die Talsperre befindet sich schließlich in einem Gebiet, das immer mal wieder von Erdbeben bedroht wird. Zudem hat das Gewicht der Wassermassen die Uferkruste aufgeweicht, was zu Erdrutschen und auch zu Flutwellen führen könnte. Dies alles ist bisher, zum Glück für die Millionen Menschen an den Ufern des Jangtse, nicht eingetreten. Die chinesische Regierung in Peking hat im übrigen die Anwohner beruhigt. Sie geht davon aus, das der Gigant aus Stahl und Beton sogar einem Erdbeben der Stärke sieben standhalten könnte. Und so wird die Drei-Schluchten-Talsperre im Reich der Mitte als einzigartiges Wunderwerk der Technik gefeiert.